Gefangen im Netz der Krieger und Getriebenen

„Iphigenie – Nicht das kleinste bisschen Wind“ ist faszinierendes Theater – und schafft den Bezug zur Gegenwart.

Von Susanne Wiedamann, MZ

Regensburg . Wie kann man antike Klassiker heute inszenieren? Wie bringt man Jugendlichen antike Stoffe nah? Wie verdeutlicht man die Relevanz jahrtausendealter Drameninhalte für die Jetztzeit, ihren existenziellen Kern, ihre Übertragbarkeit? Genau so! Mit der deutschen Erstaufführung der Euripides-Adaption „Iphigenie – Nicht das kleinste bisschen Wind“ von Amelie Mallmann und Margit Mezgolich für Zuschauer ab zwölf Jahren im Haidplatz-Theater ist dem Regensburger Ensemble ein Wurf gelungen.

Regisseur Hannes Rudolph lässt seine fünf Schauspieler auf einer von Peter Engel minimalistisch ausgestatteten Bühne agieren. So karg das Bild, so unaufgeregt lässt er seine Darsteller spielen. Umso packender ist es, wenn es laut wird, wenn Schüsse knallen, wenn Klytämnestra markerschütternd aufschreit, wenn Iphigenie flehentlich weint. Dazwischen ist viel Raum für leise Töne, für chorische Äußerungen, auch für Witz manchmal fast bis hin zum Slapstick, für Anspielungen auf die nicht weniger machtgierige Gesellschaft der Gegenwart.

Ein Strand voller Kies, zwei hölzerne Stege, eine Blechwanne, herumliegendes Papier, ein blauer Müllsack… Scharrende Füße, Maschinengewehrsalven, fallende Körper. Aus. Der Beginn nimmt das Ende vorweg.

Hier warten die Soldaten auf ihren Einsatz, wollen in den Krieg, um König Menelaos’ Braut Helena aus Troja zu erretten. Doch es geht kein Wind. Menelaos’ Bruder Agamemnon soll das Heer führen. Und damit Wind aufkommt, soll er seine Tochter Iphigenie der Göttin Artemis opfern. Agamemnon treibt sein Spiel, mit Iphigenie, mit deren Mutter Klytämnestra. Wunderbar verkörpert Michael Haake den vom Kriegstreiber Menelaos Getriebenen, den selbstherrlichen König Agamemnon, der die Tochter nicht hartherzig, aber konsequent und dem Ziel verpflichtet dem Tode preisgibt.

Yvonne Klamant zeichnet versiert und feinfühlig die Entwicklung Iphigenies vom verzweifelten, trotzig verkrampften Kind zur starken Frau nach, die sich selbst tötet und mit ihrem Blut das Geschehen befeuert. Markus Hamele besticht in beiden Rollen, als fieser Herscher Menelaos und als Luftikus Achill. Und Gabriele Fischer gibt wunderbar die Promigattin Klytämnestra, die in die Kamera zu lächeln scheint, während sie erfolglos Intrigen zu spinnen und ihre Tochter zu retten sucht. Zwischen allen Fronten: die Botin, der Johanna König unheimlich sicher ganz eigenes Format verleiht.

Selbst wenn die Figuren am Handy telefonieren und Gala lesen – modernistisch wirkt diese Inszenierung nie. Vielmehr zeigen das Regie-Team und das herrliche Schauspieler-Quintett mit wunderbarem Gespür, wo sich der antike Mensch schon ganz heutig in Szene setzt – und umgekeht. Casting-Shows und Hochzeiten im englischen Königshaus lassen grüßen. Und auch die Gnadenlosigkeit, seine Ziele kriegerisch und auf Kosten anderer durchzusetzen, hat sich nicht verändert.

Mittelbayerische Zeitung, 31.05.2011

 
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